Sunday 1 November 2015

Querfrontalschaden

Ich schaue fast täglich in den "Cicero" (Magazin für politische Kultur) und verpasse selten die Kolumne von Alexander Grau. Ich mag den Mann, obwohl er immer recht kleine Portionen serviert, die mir zwar meistens schmecken, mich aber nicht sättigen. Vielleicht ist das Honorar zu dürftig, vielleicht braucht Herr Grau das Zeilenhonorar nicht so dringend, jedenfalls denke ich nach der Lektüre immer, dass es auch etwas mehr und ruhig etwas schärfer hätte sein können.

In seiner letzten Kolumne schreibt er über eine deutsche Strömung, die sich "Querfront" nennt. Die sei zwar nicht gerade neu, würde aber an Mächtigkeit zulegen und sei vor allem in der bürgerlichen Mitte angekommen, was auch bedeutet, dass einige der Apologeten dieser Strömung der schreibenden Zunft angehören.

Wodurch zeichnet sich diese Querfront aus? Sie hat aus den Filetstücken von Rechts, also Hass auf Amerika und Antisemitismus und jenen von Links, also Antizionismus und Amerikahass ein modisch-manichäisches Weltbild gezimmert. Für jedes Unheil dieser Welt sind Amerika oder Israel oder beide verantwortlich zu machen, oder um es ganz klar zu sagen: der Westen ist an allem Schuld. Um im manichäischen Schwarzweißbild zu bleiben, ist der Westen also das Reich der Finsternis, alle anderen gehören dem Reich des Lichts an, natürlich nur, wenn sie Amerika und mit ihm den Westen verachten. Die Bundesrepublik Deutschland wird als Lakai und Erfüllungsgehilfe der finsteren USA wahrgenommen, also gehört auch sie zum Reich der Finsternis.

Da die Schuld für alles der Westen trägt, werden abenteuerliche Kausalketten fabriziert. Wenn z.B. unterdrückte Anhänger des "Islamischen Staates" ein paar Dutzend Christen enthaupten, trifft die in der Tat anti-westlichen Henker keine Schuld, denn ohne die Waffenlieferungen des Westens gäbe es keinen Islamischen Staat. Nicht die Henker haben enthauptet, sondern in Wahrheit der Westen. Quod erat demonstrandum.
Schon als am 11. September 2001 über 3000 Menschen in New York ermordet wurden, haben die Querfrontler sofort gewusst, dass es sich unbedingt um einen "Inside-Job" der CIA oder des israelischen Mossad gehandelt haben könnte. Aber selbst wenn der unterdrückte Hamburger Student Atta zusammen mit anderen gedemütigten Muslimen diesen Job alleine gemacht hätte, wäre der Westen dafür verantwortlich zu machen, denn "wer Wind sät, wird Sturm ernten" (Hosea, Kapitel 8, Vers 7) Wenn's den Manichäern in den Kram passt, muss auch die verdammte jüdische Tora herhalten.

Wir sehen, es wird ein allerdings sehr selektives täterzentriertes Denken gepflegt. Ersticht Abdullah seine Schwester, weil die den Schleier ablegen und einen Ostfriesen ehelichen möchte, müssen wir die kulturelle Bindung des gedemütigten Täters berücksichtigen und natürlich muss genau erforscht werden, wie's um die Kindheit des Verzweifelten bestellt war. Da tun sich dann Abgründe auf: der Vater, ein Moslem und gestrenger Patriarch, wurde wahrscheinlich als sehr dominant wahrgenommen, während die verschleierte Mutter meistens den Mund zu halten hatte und vom kleinen Abdullah als ausgesprochen unterwürfig erlebt wurde. Die Schuld an dieser ganzen Misere trägt die Gesellschaft, also die westliche Gesellschaft.

Stammt der Täter aus dem Reich der Finsternis, verschwendet der Querfrontler keine Zeit mit ihm. Auch wenn der Täter nur eine zugegeben widerwärtige Rede hält, wird zum Halali geblasen, die Bücher des Redetäters werden möglichst öffentlich geschreddert, die Vernichtung seiner Existenz wird gebührend gefeiert.

Vor 1989 hat man Menschen, die den Westen verachteten, oft empfohlen, doch "nach drüben zu gehen." Das geht nun nicht mehr, denn die Welt hat sich seitdem sehr verändert, auch in einer Weise verändert, die der Querfrontalist in seiner schicken Altbauwohnung noch nicht mitbekommen hat. Das macht nichts. Heute können wir einfach abwarten, bis "das Drüben" auch in den besseren Vierteln angekommen ist. Dann dürfte man "Heulen und Zähneklappern" (Mt 8, 11-12) durch die stuckverzierten Wände hören.

In dem Zusammenhang möchte ich das neue schlaue Buch von Alexander Kissler empfehlen. Kissler leitet seit 2013 den "Salon" des, jawohl, Cicero:
Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss.
Ich habe es gerne gelesen.  

 

  

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