Wednesday 4 November 2015

Maischberger und der Humanismus


Die Ossifizierung der deutschen Sprache ist bis in die Schreibstuben der Leitmedien vorgedrungen. Als waschechter Wessi staune ich über die inzwischen wohl selbstverständliche Verwendung des Begriffs "Humanismus" und muss mich jedesmal neu orientieren. So auch bei der Lektüre eines Artikels von Mathias Zschaler im heutigen Spiegel online.

http://www.spiegel.de/kultur/tv/maischberger-talkshow-zur-fluechtlingskrise-ihr-urteil-ist-mir-voellig-schnurz-a-1060972.html

In der ehemaligen DDR war jeder Genosse ein Humanist, der einer betagten Genossin über die Straße half. Ein Wessi nannte so eine gute Tat menschlich oder meinetwegen human. Humanistisches Denken und Handeln bezog sich eher auf die Annahme, dass die griechisch-römische Tradition uns viel Helles zu bieten hat. Ex occidente lux könnte man sagen, eine Denktradition, die, sehr grob gesagt, irgendwann von Herrn Thales aus dem damals reichen Milet angestoßen wurde. Eine andere Lichtgestalt aus der römischen Welt ist Cicero, den man getrost als einen der Erfinder des Individuums bezeichnen kann. Damit hat er den Grundstein gelegt für die zentralen Begriffe Menschenwürde und Menschenrecht, die auch heute (noch...) im deutschen Grundgesetz die wichtigste Rolle spielen. Dieser skeptische Freigeist hat den Begriff des Naturrechts entwickelt, und er hat etwas ganz Wesentliches gesagt, etwas, das in der muslimischen Umma 2015 noch nicht angekommen ist: in seiner "De natura deorum" (vom Wesen der Götter) sagt er klipp und klar, dass wenn Götter beleidigt werden, die Götter selbst strafen sollen (wenn sie wollen).

Bei Maischberger parlierten wie üblich wiedervereinigte menschelnde Humanisten und natürlich Anti-Humanisten, die nur Anti-Humanistisches zu melden hatten. Norbert Blüm vertrat selbstverständlich den humanistischen Block, wogegen die anti-humanistische Fraktion von dem anti-humanistischen Slowaken Richard Sulik würdig vertreten wurde. Dieser Mann hatte in seiner Schulzeit womöglich den rechten Hetzer Cicero gelesen und verstand Toleranz immer als "wehrhafte Toleranz", das heißt, eine Toleranz, die Selbstaufgabe oder -mord nicht vorsieht. So sprach er sich gegen die unkontrollierte Masseneinwanderung von jungen muslimischen Männern aus, die, wenn sie sich erst warmgelaufen haben, gewisse Verwerfungen und Unwuchten in einer (noch) offenen Gesellschaft verursachen könnten. Für den humanistischen Block entgegnete Herr Blüm ganz unverblümt, dass er diese anti-humanistische Auffassung überhaupt nicht gutheißt. Der selbe Rentensicherer Blüm erklärte auch feierlich, dass Europa und nicht Deutschland seine Heimat sei. Das hört sich erstmal gut an, zumindest, wenn man den Schengenraum mit Europa gleichsetzt. Einem unverbesserlichen Wessi wie mir, dem zu Europa zu allererst die schon erwähnten Denker und dazu noch der helle John Locke, der freche Voltaire, der Klardenker Kant und der ironische Heine und noch einige andere einfallen, wird ganz blümerant bei dem Gedanken, wie Blüms Europa in 10-20 Jahren aussehen könnte.

P.S. Gerade fällt mir noch ein grausames Beispiel ostdeutscher Sprachverstümmelung ein, die jetzt auch im Westen oft zu vernehmen ist: "KMH", gesprochen wie geschrieben. Aus dem mathematisch korrekten "Kilometer pro Stunde" (Westdeutschland, 1945 bis 1989) wurde das vollkommen sinnlose Kilometer mal Stunde. Die Engländer machen es richtig: mph wird grundsätzlich "miles per hour" ausgesprochen.
Vorschlag zur Güte: wer zu faul ist, "Kilometer pro Stunde" (km/h) auszusprechen, könnte vielleicht "KM pro H" oder noch kürzer und am Englischen orientiert "KMPH" sagen? Nur damit "das Volk der Dichter und Denker" sich nicht vollends lächerlich macht.    

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