Thursday 12 November 2015

Echt, ehrlich und erfolglos
Eine Glosse

Ich erinnere mich: Anfang der 70er Jahre, Flower Power, Vietnam, böse USA, man saß weltschmerzgeschüttelt in dunklen Räumen und sprach wenig, aber immer ernst über das, was später Popkultur genannt wurde. Aus den Lautsprechern quoll Rockmusik, aber nicht einfach Rockmusik, sondern echte und ehrliche Rockmusik oder gegebenenfalls Bluesmusik, aber nur, wenn sie echt und ehrlich war. Das Pubertariat unterschied sehr säuberlich und streng zwischen kommerzieller und nicht-kommerzieller Musik, wobei letztere per se gut, die andere nur verachtenswert war.

Es war also sonnenklar, dass erfolgreiche Rockmusikanten niemals wirklich echte und ehrliche Musik machen könnten. Deshalb, und da musste ich mein Lachen immer mühsam zurückhalten, kaufte man nur Schallplatten von nicht-kommerziellen Musici und würde niemals in Konzerte der unechten und unehrlichen Bands gehen.
Nun gehörte das logische oder gar dialektische Denken nicht zu den Stärken der Liebhaber des dürftigen Krawalls, denn sonst hätten die Verteidiger des Echten und Ehrlichen bemerkt, dass der eifrige Ankauf von Schallplatten unter Umständen den Wohlstand der Ehrlichen mehren könnte, was zu Verwerfungen innerhalb der Werteordnung führen würde.

So geschah es auch. Einigen ehrlichen und echten Musikanten gelang der Durchbruch, und obwohl sie am Konzept ihrer lautstarken Darbietung nichts änderten, waren sie plötzlich kommerziell und somit schlecht.

Inzwischen hatte der Markt aber längst die Spielregeln erkannt und wusste, was die taschengeldverwöhnten Revoluzzer aus besserem Hause wollten: Pennerfolklore aus zweiter Hand. Die inzwischen wohlhabend gewordenen Rockmusikanten wurden professionell auf arm und ehrlich getrimmt und schauten aufmüpfig und ärmlich aus dem Plattencover. In jedem Covertext wurde immer wieder betont, dass die Tonkünstler aus ärmsten Verhältnissen stammten, keinen Schulabschluss vorzuweisen hätten und keine Noten lesen oder schreiben könnten. Und wenn der kommerzielle Erfolg sich gar nicht mehr vertuschen ließ, wurde der edle Charakter der meistens drei bis vier Ehrlichen hervorgehoben, die trotz des großen Erfolgs nie ihre ärmlichen Wurzeln vergessen hätten und deshalb echte und ehrliche Rockmusik spielten, auch wenn sie inzwischen im Rolls Royce zur Konzerthalle chauffiert werden.

Damals, in den verdunkelten Räumlichkeiten der Pubertierenden, wurde der Grundstein für eine Ideologie gelegt, die heute alle Bereiche des Handels und Wandels, aber auch des weltpolitischen Wertesystems beherrscht: ehrlich und echt ist nur der Erfolglose, denn, wer im teuflischen kapitalistischen System erfolgreich ist, beweist damit seine Schlechtigkeit und Unehrlichkeit.

Nur der Erfolglose verdient deshalb unsere Achtung, verdient unsere Förderung. Der inzwischen erwachsen gewordene Revolutionär trinkt deshalb am liebsten "ehrlichen Landwein", den er mit dem Fahrrad von einem ganz kleinen Winzer kauft. Der Wein schmeckt nicht zu schlecht und macht besoffen, wenn man genug davon trinkt. Der Wein ist ehrlich, kommt aus armem Hause und ist deshalb gut. Ein perfider Kapitalist wie zum Beispiel Rothschild könnte niemals einen bodenständigen und dazu noch ehrlichen Landwein zusammenkeltern.
Das ehrliche Brot, der ehrliche Käse und natürlich die ehrlichen Eier stammen grundsätzlich aus Betrieben, denen es schlecht geht. Erfolgreiche Betriebe können keine Ehrlichkeit produzieren. Dass Erfolg oft aus Kompetenz resultiert, wird verneint. Nein, jeder Erfolg wird nur erreicht, indem die Kleinen, Schwachen und Ehrlichen ausgebeutet und (heute noch wichtiger) unterdrückt werden.

In diesem Werte- bzw. Wahnsystem ist der Erfolgreiche deshalb immer schlecht. Dass der Verlierer, der Erfolglose vielleicht einfach zu dämlich oder verbohrt ist, kann nicht sein. Er ist niemals selbst verantwortlich für seinen Misserfolg, er ist immer Opfer, weil er eben, wir sagten es schon, unterdrückt wird.
Deshalb ist auch die politische Weltkarte für den Liebhaber ehrlicher weinhaltiger Getränke sehr einfach strukturiert. Es gibt die Unterdrücker, das sind die USA und Israel, und es gibt die anderen, die Unterdrückten. Palästinenser zum Beispiel hätten längst ein blühendes Land und würden jede Menge Nobelpreise kassieren, wenn sie nicht von den zionistischen Unterdrückern gezwungen würden, ihr Leben mit dem Basteln von Qassam-Raketen zu vergeuden. Und wenn die Unterdrückten dann noch so traurig in die Kameralinse blinzeln, möchten Frau Käßmann und Claudia Roth gar keine zionistischen Jaffa-Orangen mehr essen.

Preisfrage: wenn es den Unterdrückten doch noch gelingen sollte, ein judenfreies Palästina herbeizubomben (so schreibt es die Charta der unterdrückten Hamas vor), würden dann die wackeren deutschen Antizionisten palästinensische Orangen essen? Ich glaube schon, denn die dann regierenden Despoten wären keine Unterdrücker, sondern Befreier...

Nun ist "der ewige Sündenbock" (Tilman Tarach) Israel zur Zeit etwas aus dem Fokus gerutscht, denn rund 1 Million unterdrückte Syrienflüchtlinge aus aller Welt beanspruchen die ungeteilte Aufmerksamkeit. Vielleicht könnten die Käßmanns, Roths und Göring-Eckardts der Republik die erschöpften und zum Teil entmutigten Helfer und Polizisten mit einem Glase ehrlichen Landweines erquicken.  



      


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