Monday 9 November 2015

Das Logikproblem der Nichtwähler

Wenn in einem Online-Forum Wahlergebnisse diskutiert werden, melden sich immer auch Nichtwähler zu Wort, die ausrechnen, dass eine Partei ganz uns gar nicht die angegebenen Prozente erreicht hat, denn es wurde ja die große Gruppe der Nichtwähler nicht berücksichtigt.

Diese Nichtwähler sind inzwischen eine stolze Vereinigung. Sie steigern sich sogar zu einer contradictio in adiecto und nennen sich vollmundig "Partei der Nichtwähler." Dass sie sich mit diesem amüsanten Widerspruch in einem Monty Python-Sketch befinden, bemerken sie nicht, denn es hapert mit dem logischen Denken:

In jeder Stadt gibt's ein Restaurants. "Bei Alfredo" wird von 40% der Bewohner regelmäßig frequentiert. Davon bevorzugen 50% das Kalbsgulasch, weiteren 20% schmecken die Rindsrouladen sehr gut, 10% schwören auf die Sahneschnitzel, 15% essen regelmäßig Bratfisch mit Bratkartoffeln, 5% mögen die Erbsensuppe mit Wursteinlage. Von diesen 100% aller Restaurantbesucher haben 80% auch mal ein anderes Gericht ausprobiert, waren aber nicht begeistert und bestellten dann wieder ihr Lieblingsgericht.
Die Restaurantbesucher treffen sich auch regelmäßig und diskutieren die Speisekarte. Es wird auch kontrovers diskutiert, denn die eine oder andere Portion ist kleiner, das Kalbsgulasch schon wieder teurer geworden, und der neue Koch ist nicht ganz so gut wie der alte. Man nimmt sich auch vor, mit dem Restaurantbesitzer darüber zu sprechen.

Diese Diskussionen werden regelmäßig gestört. 60% der Bewohner waren nämlich noch nie "Bei Alfredo", das heißt, die Mehrheit (man betont es immer wieder und lautstark) hat entschieden, dass das Essen in diesem Restaurant erstens überhaupt nicht und zweites alles gleich schmeckt. Das heißt auch, dass etwa die 50%, denen das Kalbsgulasch schmeckt, überhaupt keine Relevanz haben, denn es sind nur 50% von lumpigen 40% der Einwohner.

Es ist beruhigend, dass die Nicht-Besucher keine Restaurantkritiken schreiben und über Speisen urteilen, die sie nicht gegessen haben. Das wäre nämlich ein hübscher Monty Python-Sketch.  


Peter Sloterdijk definiert Politik als "das öffentliche Streiten über das richtige Leben." (Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft). So eine Politik findet in Deutschland nicht mehr statt. Eine gespenstische Symbolpolitik wird mit religiösem Eifer von einer gläubigen Priesterschaft zelebriert; Kanzlerinnen-Selfies mit "Flüchtlingen", "wir schaffen das" (was genau und wie und warum?). Eine blutleere Nicht-Politik, die das "zoon politikon" längst hinter sich gelassen hat. Zauberberg-Zeiten, hoch oben über dem entmündigten Volk, morbide Lust an Selbstbeschädigung, an Selbstaufgabe. "Nazikompensationskomplex" (Markus Vahlefeld), "Deutschland wird sich verändern" (wie genau und warum?). Wird es endlich untergehen, "sich abschaffen" (Thilo Sarrazin)? Wenn schon büßen für die schwarze Vergangenheit, dann, ich schrieb es schon: weltmeisterlich.


Ich habe mal formuliert: Frieden ist die Kunst des Streitens. Ich streite mich nicht mit Menschen, die mir gleichgültig sind. "Du hast recht, und ich habe meine Ruhe" sagt eine bekannte Floskel. Schöntuerei und Schmeichelei können immer auch Heuchelei sein. Der Wunsch, zivilisiert zu streiten dagegen ist ein verlässlicher Indikator dafür, dass mir die Person wichtig ist. Ich streite "griechisch-jüdisch", also nicht mit dem Ziel, unbedingt Recht zu haben oder zu behalten, sondern mit dem Ziel, die Richtigkeit einer Behauptung zu belegen oder zu widerlegen, bzw. mich widerlegen zu lassen. In den platonischen Dialogen, aber auch im Talmud finden wir viele Beispiele für die Kunst des Streitens.
Genauso ging es mir mit Deutschland. Ich fing an, mit Deutschland zu streiten als ich vielleicht 18 Jahre alt war und hörte nicht auf damit, ließ kaum ein gutes Haar an dem Land. Ich stritt mit ihm, weil es mir wichtig war, ja weil ich es mit all seiner Großartigkeit und seiner Widerwärtigkeit liebte. Deutschland ist jetzt auf dem Weg, mir gleichgültig zu werden.  

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