Friday 1 July 2016

Die Facebookisierung der Politik

Die Welt ist bipolar, geteilt in „Likes“ und „Dislikes“, in gehobene oder gesenkte Daumen. Und unernst. In allem regiert der Fun, der Dauerspaß. Das Ernste blitzt kurz auf, lästig, störend und wird durch ein niedliches Katzenbild sofort verdrängt, neutralisiert. 

Dürftige 36% der 18-24-jährigen Briten sind zur Wahlurne gegangen. Wahrscheinlich waren sie zu beschäftigt mit dem Verteilen von Herzchen und Däumchen und lustigen Kommentarchen und dem Hochladen von noch mehr niedlichen Katzenbildchen. Und jetzt jammern sie über ihre verkorkste Zukunft, verkorkst von jenen, die zwar blöde sind, aber anscheinend kein Facebookkonto haben und deshalb die paar Schritte zum Wahllokal gehen konnten. Hallo? Habt ihr gehört? Ihr wart nicht weniger blöde. Wo wart ihr? Es ging doch angeblich um eure Zukunft. Niedliche Katzenbilder laufen nicht weg. Oder doch? Facebook verlangt Dauerpräsenz. Nicht, dass John schneller als Mike das ultimative Fun-Video, also das, wo das drollige Kätzchen aufs Sofa hüpft und wieder runterfällt (1768 Likes!) hochlädt. Das wäre eine Katastrophe.  

Goethes Chorus Mysticus aus Faust II singt heute: Das Ewig-Infantile zieht uns hinan. 
Boris Johnson hatte seinen Fun :-). Jetzt nicht mehr so. :-(. Also will er kein PM mehr sein.  
Und bestimmt hatte er jede Menge „Likes“ auf Facebook kassiert. Kann man bestimmt noch sehen, irgendwo auf der Timeline zwischen dem Weltereignis „Susan feiert Party“ (1234 Likes, 700 Antworten) und dem wirklich unheimlich niedlichen Katzenbaby von Megan (1457 Likes, 1000 Kommentare). 

Die Kinder, von denen hier die Rede ist, sind zwischen 6 und 100 Jahre alt, denn wer sein Leben auf Facebook verbringt, altert nicht. Die Alters- oder gar Reifeunterschiede sind aufgehoben. Damit ist auch die Fähigkeit zu denken, das heißt, „das Ordnen des Tuns“ (Aebli) zu organisieren, abhanden gekommen. Politik, dieses „öffentliche Streiten über das richtige Leben“ (Sloterdijk), dieses Spannungsfeld zwischen dem Wünschenswerten und dem Machbaren verträgt keine kindischen „Likes“ oder „Dislikes“. Politik heißt Suchen, ständiges Suchen nach dem besten aller Wege, die hier und jetzt beschritten werden können. Politik heißt auch immer Vorläufigkeit, was ein ständiges Weitersuchen impliziert. Der gehobene oder gesenkte Daumen steht am Ende eines Prozesses, dann, wenn eine Entscheidung fallen muss. Erst dann mündet der Prozess in ein einfaches Ja oder Nein. Erst dann. 


Diese Prozesse müssen von Erwachsenen geführt werden. Und das ist weniger eine Frage des Lebensalters. Es darf nicht sein, dass Infantile über die Zukunft eines ganzen Landes nach Facebookart entscheiden. Im „Handelsblatt“ ist heute von „Pervertierung des Begriffs Demokratie“ die Rede. Das ist richtig. Eine demokratische Entscheidung setzt einen gewissen Kenntnisstand, eine gewisse Reife der Entscheider voraus. Sonst wird sie zur Lotterie, kann zum Russisch Roulette werden. Paradox: dieselben Politiker, die „dem souveränen Volk“ möglichst jede Entscheidung überlassen wollen, bestehen ansonsten auf Gutachten und unzähligen Studien, bevor eine neue Margarine auf den Markt kommt. Und natürlich würden sie das souveräne Volk nicht über die Höhe ihrer eigenen Diäten abstimmen lassen.    

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