Wednesday 6 July 2016

Das Referendum - eine Form der Scheindemokratie


Die Mode grassiert im verwöhnten Westeuropa. Immer mehr Menschen, die noch nie in ihrem Leben wirklich darben, geschweige denn einen Krieg durchleben mussten, wollen die verhasste EU zerschlagen. Jeder Einzelne dieser verwöhnten Zerstörer mag sich doch bitte mal fragen, worunter er genau zu leiden hat und ob dieses Leiden kausal mit der EU zusammenhängt. Sie sitzen in der gemütlichen Wohnung vor dem PC und beklagen sich über alles, wollen leichtfertig alles kaputt machen. Früher hieß es mal: lerne leiden ohne zu klagen, heute ist das Motto: lerne klagen ohne zu leiden.  

Am 2. Oktober soll nun der ungarische Gefühlsbauch entscheiden, ob ganze 2600 Nicht-Ungarn nach Ungarn ziehen dürfen. Ich vermeide das Wort „Flüchtlinge“, weil inzwischen jeder wissen wird, dass es sich bei den wenigsten um solche handelt. Aber darum soll es hier überhaupt nicht gehen. 
Volksentscheide werden als die einzig wahre Demokratie verkauft. Hier entscheidet das Volk, der große Souverän. 

Den wenigsten scheint aufzufallen, dass Volksentscheide, wenn sie „von oben“ gnadenhalber und in Auswahl zugelassen werden, ein Oxymoron sind. Ich habe schon einmal an diesem Ort gefragt, wo denn das Referendum war, als es darum ging, junge britische Menschen in den Irak zu entsenden, um dort vollkommen sinnlos zu sterben. Wurde da irgendjemand gefragt? Und noch entscheidender, wurde aufbegehrt, weil niemand gefragt wurde? Nein, der Befehl wurde brav befolgt. Schließlich bestimmen die Herrschenden, wer wann und wo in den Krieg zieht. 
Und da ging es nicht um den Krümmungsgrad von Gurken oder wie viele Heringe gefangen werden dürfen, da ging es buchstäblich um Leben und Tod. Wo waren Farage, Johnson und die anderen Clowns, die für dieses tödliche Kriegsspiel ein Referendum forderten? 

Wäre das Volk tatsächlich der Souverän, bestimmte es selbst, worüber entschieden werden soll. Es würden Unterschriften gesammelt, und wenn genügend vorhanden, wird ein Referendum abgehalten sine qua non. Ein Souverän könnte zum Beispiel darüber entscheiden, ob die Queen und ihr Hofstaat vom britischen Steuerzahler durchgefüttert werden soll. Hallo Steuerzahler? Ihr klagt doch sonst über alles.  

Folgen wir den erstaunlichen Erkenntnissen Oswald Spenglers, liegt das Abendland in seinen letzten Zügen. Wir sehen deutlich Zeichen der Dekadenz, des Verfalls, und es sind nicht nur der Selbsthass und die irrationale Anbetung allen Fremdes, die dem luxuriösen Leben geschuldet sind; wir sehen auch eine bestürzende Geringschätzung dessen, was etwas schwülstig „Friedensprojekt Europa“ genannt wird. Aber wenn wir das Geschwollene mal beiseite lassen, müssen wir trotzdem die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass in diesem blutverschmierten Europa seit 71 Jahren kein europäisches Land mehr Krieg führte gegen ein anderes, interne Sezessionskriege wie im ehemaligen Jugoslawien hier mal ausgenommen. Jeder mag in einem Geschichtsbuch seiner Wahl nach einer so langen innereuropäischen Friedensperiode Ausschau halten. Natürlich behaupten die EU-Gegner forsch, das hätte mit der EU gar nichts zu tun. Diese Behauptung lässt sich weder be- noch widerlegen, denn die Zeit lässt sich nicht zurück drehen. Wir können nicht wissen, was in Europa ohne die EWG/EU geschehen wäre. Mit anderen Worten, eine derartige Behauptung ist gegenstandslos.


Ein deutliches Zeichen der Dekadenz ist die Schaffung von Scheinproblemen. In Ermanglung echter Probleme ersinnt jede Kultur vor ihrem Untergang Problemchen, über die Menschen in echter Not nur den Kopf schütteln können. Ob richtiges Essen oder Verdauung oder EU. Man klagt und jammert. Das war in der Endphase des Römischen Reiches nicht anders. Während die Goten lustig über die vernachlässigten Grenzen marschierten, stritt man in Rom über die richtige Zubereitung von Quallengelee. Nun gibt es ja Probleme zuhauf, und unserer ganzes Menschsein besteht aus dem Lösen von Problemen. In der Anfangs- und Blütezeit einer jeden Hochkultur wurden zunächst die Probleme des täglichen Überlebens gelöst, und wenn die soweit abgehakt waren, beschäftigte man sich mit den großartigen Problemen der Mathematik, Philosophie, Naturwissenschaft und Kunst. Aber irgendwann kommt es zum Verfall, zu dem, was der verstorbene Guido Westerwelle nicht unrichtig, aber in einem falschen Kontext „spätrömische Dekadenz“ genannt hat. Man ist nicht mehr bereit, das Errungene zu verteidigen und es zu verbessern, anstatt es bequem zu zerschlagen. Die EU ist verbesserungswürdig, daran besteht ja kein Zweifel, und ich möchte abschließend aus dem Talmud zitieren: Es ist uns aufgetragen, am Werk zu arbeiten, es ist uns nicht gegeben, es zu vollenden.          

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