Saturday 12 December 2015

Wer kapiert die Deutschen?

Alexander Neubacher ist entsetzt (Spiegel online). Deutschland ist dabei, seine „politische Mitte zu verlieren“. Er sieht eine immer bedrohlicher werdende (Quer-)Front von braun bis rot, die in einem verstörenden Gleichschritt marschiert. War das jemals anders in Deutschland?

In einem Halbsatz beschreibt Neubacher sozusagen das deutsche zoon politikon: Rechte wie Linke „eint wenig mehr als die Angst vor Veränderung und das Misstrauen gegen Eliten“. Leider folgt auf diese Bestandsaufnahme keine Analyse. 

Deutsche dürstet es nicht nach Freiheit (des Geistes), sie sehnen sich ausschließlich nach Ordnung und Sicherheit. Weil das so ist und immer so war, ist es eigentlich gar nicht so schwer, die Deutschen zu regieren. Jeder Politiker hat leichtes Spiel mit den Deutschen, wenn er diese Sehnsucht befriedigt. 

Frau Merkel wurde in Ostdeutschland sozialisiert und hat deshalb keine Ahnung, wie man das auch in einer lästigen parlamentarischen Demokratie bewerkstelligt. Wenigstens das hätte Kohl ihr beibringen können. In der DDR war’s für Politiker viel bequemer, da waren die Volksgenossen eine willige Bio-Knetmasse, die auf Befehl jubelte (Parteibeschlüsse) oder buhte (Beschlüsse des Klassenfeindes). Das tat sie beileibe nicht so ungern, wie sie heute jammernd behauptet. 

Der Historiker Eike Geisel hat sich deshalb auch nicht bluffen lassen. Er beschrieb die DDR als „kommode und lächerliche Diktatur, mit der sich die Bevölkerung arrangiert hatte, bis die Verlockungen des Westens in Form von Beate Uhse und Bananen und weniger von Freiheit sie überlaufen ließen.“ (Eike Geisel, Die Wiedergutwerdung der Deutschen) Die seit 25 Jahren verklärten „friedlichen ostdeutschen Revolutionäre“ sprangen erst auf den Revolutionszug, als die Abteile gut gepolstert und die Schienen poliert waren. Mutig waren einige Jahre davor dagegen die Polen. Da stand noch was auf dem Spiel. Zum Beispiel das Leben. 

Ordnung und Sicherheit. Für die einen korrekte Mülltrennung und „antifaschistische“ und ökologische Welterlösung, für die anderen ein Schutzmann an jeder Ecke und hartes Durchgreifen gegen Ausländer. Das passt besser zusammen als viele denken, auch wenn die einen auf den Schutzmann lieber verzichten und die Steine selbst werfen möchten. Hartes Durchgreifen, auch gegen Israel und Amerika, ist auf jeden Fall erwünscht. 

Gedankenfreiheit? Lästig.* Die Linken dürfen zwar in ihren Strick- und Diskursen diese Errungenschaft der Aufklärung nicht gänzlich verleugnen, machen allerdings klar, dass jede Meinung nur frei geäußert werden darf, wenn sie den ideologischen Vorgaben genügt.

Wenn Alexander Kissler zu Recht fordert, die westlichen Werte müssten unbedingt verteidigt werden, stößt er bei den meisten Deutschen auf taube Ohren. Die Deutschen verteidigen die Freiheit nicht. Warum? Weil ihnen nichts an ihr liegt.  

*"Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire" schreibt zwar der Deutsche Friedrich Schiller in Don Carlos, die Worte sind aber an den spanischen König Philipp II gerichtet. Die Version für deutsche Verhältnisse stelle ich mir so vor: "Gebt auf euren Autobahnen freie Fahrt für freie Bürger, Sire!"    



http://www.spiegel.de/politik/deutschland/wie-deutschland-seine-politische-mitte-verliert-kommentar-a-1067438.html

Spiegel-LeserIn justice005 schreibt dazu:


„Im vorletzten Absatz schreibt der Autor, die "Anständigen müssten den Verängstigten entgegentreten". Das zeigt leider, dass der Autor nichts verstanden hat. Das Problem ist, dass es die Anständigen sind, welche verängstigt sind. Ich selbst zähle mich auch dazu. Ich bin ein Fan des Grundgesetzes, ein überzeugter Fan der Demokratie und ein ebenso überzeugter Fan des Rechtsstaates und der Menschenrechte. Und ich glaube an das Gewaltmonopol eines funktionierenden Staates und dass man sich auf diesen verlassen kann. Aber auch ich habe Angst, dass genau dies alles, eben diese Zivilisation verloren gehen kann, wenn Millionen von Menschen ins Land kommen, die von Geburt an nichts anderes gelernt haben als das Recht des Stärkeren, Krieg, Gewalt, Brutalität, Rache und vermeintliche religiöse "Ehre" sowie völlig funktionslose staatliche Strukturen. Es ist möglich, einzelne zu integrieren, aber ganz sicher nicht Millionen. Das weiß jeder, der auch nur ein ganz kleines bisschen rational denken kann. Und das sind zum Glück noch die meisten. Und genau diese fühlen sich von der Politik nicht verstanden. Und genau das wiederum treibt die Menschen zu Rechts- und Linksradikalen. und daher geht die vernünftige Mitte verloren. So einfach ist das.“

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