Saturday 10 June 2017

Obwohl ich ihn nicht persönlich kenne, zähle ich Kissler zu meinen Freunden. Einfach, weil es viel mehr Gemeinsames als Trennendes gibt. Er wird zornig, wenn auch ich zornig werde. Kissler ist für mich einer der wenigen Klardenker in Deutschland, einer, den ich gerne lese. Sein Buch "Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss" ist unbedingt lesenswert.

http://cicero.de/salon/aktion-doppeleinhorn-kommandopolitik-im-kleid-des-kindischen

Aufbauen oder Abrissbirne

Im Zusammenhang mit dem Brexit und der UK-Wahl fällt mir auf, dass in sehr vielen Leserkommentaren in deutschen Medien die Trennung des UK von der EU freudig begrüßt wird. Man feiert die tapferen Briten als Helden. Warum eigentlich? Bei aller Rosinenpickerei und Bevorzugung hier und da waren sie unter'm Strich Nettozahler. Welcher Verein freut sich über den Verlust eines zahlenden Mitgliedes? Schnell wird klar, dass es um was ganz anderes geht: nämlich um die lustvolle Zerstörung der EU. Endlich macht jemand den Anfang, hoffentlich folgen andere, sodass diese furchtbare EU endlich Geschichte ist. 

Herbeigesehnt wird die einstige EWG, ein Europa der Vaterländer, natürlich der unabhängigen, souveränen Vaterländer, mit eigener Währung, mit eigenem Jodelkurs. Denn, so vor allem die deutschen Kommentatoren, damals war Deutschland auch Export-Weltmeister. Schön, aber damals kannten die Chinesen den Unterschied zwischen Spaten und Smartphone noch nicht. Heute übernehmen sie Stück für Stück den Weltmarkt (siehe gestrigen Beitrag). Um dagegen auch nur etwas anstinken zu können (auch USA und Russland dürfen nicht ignoriert werden!) ist eine starke EU wichtig. Aber: ist die EU in ihrem Ist-Zustand gut? M.E. nein, sie ist es nicht. Überhaupt nicht. Zu wenig demokratisch, überreguliert, die Außengrenzen nicht wirksam geschützt, und da gibt es sicher noch eine lange Liste von Fehlern, die unbedingt und schnell korrigiert werden müssten. 

Kaputt machen ist leicht

Es ist normalerweise das Vorrecht kleiner Kinder, ein Haus aus Bauklötzen umzuwerfen, wenn es nicht gleich vollkommen ist. Kissler und meine Wenigkeit haben sich schon mit der bestürzenden Infantilisierung der Gesellschaft auseinandergesetzt. Die Generation der fleißigen und geduldigen Aufbauer ist ausgestorben. Stichwort: Trümmerfrauen, israelische Pioniere. Erstere fanden Trümmer, zweitere öde Wüste vor. Was tun? Alles kaputt, bzw. unfruchtbar, unbrauchbar. Um aus diesen Trümmern, dieser Wüste etwas zu erbauen, waren neben Zuversicht und Mut vor allem Fleiß, Anstrengung und Geduld unbedingt nötig. Tugenden also, die Zerstörer natürlich nicht benötigen. Inmitten der tatsächlich sehr unvollkommen EU sitzen sie gut genährt und versorgt am Heimcomputer und wünschen die EU zum Teufel, wünschen sich die Abrissbirne herbei, die dem Spuk endlich ein Ende macht. Dabei haben diese Infantilen Not und Entbehrung überhaupt nicht kennengelernt. Mit ihren Steuern, so jammern sie, werde Griechenland gerettet. Dann stehen sie auf, gehen zum Kühlschrank und naschen Kaviar. Soll heißen, der jammernde Griechenlandretter merkt persönlich nichts von seiner Tätigkeit als edler Retter. 

Natürlich ist eine Einheitswährung immer ein Problem, wenn Volkswirtschaften sehr unterschiedlich stark sind. Gewisse Verwerfungen und Ausgleichszahlungen sind dann unumgänglich. Faustformel für den Euro: er ist viel zu schwach für Deutschland und viel zu stark für viele andere Länder. Eine eigene Währung kann entsprechend ab- oder aufgewertet werden, bei einer Einheitswährung geht das nicht. Gedankenexperiment. Nehmen wir an, die nationalen Währungen würden morgen wieder eingeführt werden. Die "DM 2.0" würde blitzartig aufgewertet, die meisten anderen Währungen abgewertet werden. Für den Export in die "EWG" kämen schwerere Zeiten, denn deutsche Exportwaren wären enorm teuer, unbezahlbar u.a. für die Griechen. Deutsche Arbeitsplätze gingen sofort verloren (die jetzt jammernden "Griechenlandretter" würden sich vielleicht nicht freuen...), kleine und mittelständische Betriebe gingen in Konkurs. Die Großen? Denen macht das überhaupt nichts aus. Die verlagern halt noch mehr Kapazitäten in Billiglohnländer. Die pfeifen auf provinzielle Jodelkurse. Ein Argument der "Griechenlandretter" ist, dass eine starke DM den Binnenmarkt stärken würde, man kauft dann wieder mehr bei Tante Emma. In welchem Jahrhundert leben diese Leute? Stichwort Internet. Hallo? Ich suche mir meine Produkte weltweit aus, zahle per PayPal, und innerhalb von 10 Tagen habe ich meinen "Familienoriginalbenutzer" (Loriot) aus Albanien, Vietnam, Korea oder den USA. Die Welt hat sich weitergedreht. Rasend schnell. Nichts ist mehr so wie zu EWG-Zeiten. Die Wirtschaftswelt ist ein kleines Dorf und jedes Produkt nur einen Mausklick entfernt. 

Man kann das Währungsspiel auch runterskalieren: der Euro ist für Bayern viel zu schwach, für Berlin und viele andere Bundesländer viel zu stark. Also braucht Bayern eine eigene Währung. Das Spielchen können wir auch mit dem Dollar oder dem Pfund spielen. Cornwall ist viel ärmer als London, und in den USA sind die Bundesländer beileibe nicht alle gleich stark. Dieses Gedankenspiel lässt sich bis ins Absurde treiben. Jede Stadt braucht eine eigene Währung usw. 
Was also stattfindet, ist ein EU-weiter Länderfinanzausgleich wie er innerhalb der Bundesrepublik schon seit vielen Jahrzehnten (auch zum Ärger der starken Länder!) praktiziert wird. Und wie oft hat das starke Bayern (nicht zu Unrecht!) sich beschwert, wenn etwa Pleite-Berlin Geld für Quatsch zum Fenster rauswirft. Und richtig: das muss auch ganz unabhängig von der Währung für die gesamte EU gelten. Ein Land, das nachweislich misswirtschaftet, muss abgestraft, Zahlungen müssen eingestellt werden. Hilfe darf immer nur Hilfe zur Selbsthilfe sein, keine Daueralimentierung. Die EU hat dafür aber klare Regeln. Die müssen nur eingehalten werden. Werden sie aber nicht. Sie werden verbogen und gebrochen, wie's halt gerade passt. Das muss aufhören. Hier muss tatsächlich der eiserne Besen durch. Pacta sunt servanda. Diese Regel aus dem Römischen Recht muss endlich durchgesetzt werden. Und wenn die EU endlich ein sauberer Rechtsraum ist, in dem Regeln eingehalten und Verträge sine qua non gelten, ist das ein solides Fundament, auf dem das Haus EU stehen kann. Im Talmud steht: es ist uns aufgetragen, am Werk zu arbeiten. Es ist uns nicht gegeben, es zu vollenden. 

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