Friday 19 August 2016

Pädagogen aufgepasst: Kinder brauchen Märchen

Nicht sozialpädagogengerechte Verbrechen gegen die Literatur. Kinder brauchen Märchen (Bruno Bettelheim), richtige Märchen. Diese kleinen Mythen, diese archetypischen Erzählungen, die seit vielen hundert Jahren und kulturenübergreifend vom immer Gleichen erzählen. Von Konflikten, von Problemen des Erwachsenwerdens, die mühsam gelöst werden und schließlich in die Wiederherstellung des Paradieses münden. Pädagogen, die ihr Studium mit Sitzstreiks bestanden haben, wissen das nicht und betrügen unsere Kinder um etwas Essentielles und Wunderschönes: Märchen. In ihnen wird Krisis, Katharsis und Apotheosis eben märchenhaft verarbeitet. Der gütige König (Vater) gestorben, das Kind einem missgünstigen oder sogar bösen Menschen ausgeliefert (Krisis). Aber schließlich fasst das Kind Mut und wird, auch mit der Hilfe eines Freundes, eines Prinzen zum Beispiel gerettet (Katharsis). Erlösend, wie nach dem glücklichen Erwachen aus einem langen Traum, schließt die kleine Mär mit dem tröstlichen "und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute".  Eine verlockende Transzendenz, denn wissen wir, ob sie gestorben sind? Das Kind lächelt erleichtert, denn alles ist wieder gut, und schläft ein.

Vor ein paar Tagen kaufte ich für meine 3-jährige Enkelin vom Aldi-Wühltisch und ohne genau hinzugucken das Buch "Hansel and Gretel", klar in englischer Sprache und überreich illustriert, aber was soll's, dachte ich, ohne dummbunte Bilderflut geht heute nichts mehr. Dass durch die Übervisualisierung heutzutage die phantastische Fähigkeit des Kindes, nämlich das (Vor-)Gelesene in eine reiche eigene Bilderwelt zu verwandeln, erstickt wird, ist zwar bedauerlich, aber der zunehmenden Kulturzertrümmerung geschuldet. Egal, als in dieser Hinsicht resignierter, aber glücklicher Opa setzte ich mich mit meinem kleinen Schatz aufs Sofa und hub an zu lesen.
Der Plot:
Familie mit (Stief-)Mutter, Papa, Gretel und Hänsel sitzen am Tisch und haben nur Toast zu essen. Butter, der labberige Ham, das salzlose Chicken und womit die gummösen Teiglinge sonst noch veredelt werden, fehlen gänzlich. Deshalb ist der Vater missgelaunt und schlägt vor, die kindlichen Mitesser loszuwerden. Zum Glück grenzt das Häuschen an einen Wald. Die Kinder klauen noch schnell etwas Toast und bröckeln ihn auf den Waldweg, weil es in alten Zeiten noch kein Navi gibt. Die Stiefmutter hat nichts besseres zu tun, als ein paar Vögel anzustiften, die Toasthappen zu verspeisen. Dumm gelaufen, aber da steht schon ein Haus aus Pfefferkuchen fein, wer mag der Herr...der Herr ist eine Frau, die wirklich sauer ist, weil die beiden Vandalen rücksichtslos Teile des Hauses verspeist haben. Kann man verstehen. Sachbeschädigung ist kein Kinderspaß. Aber die Kinder zeigen sofort tätige Reue, Hänsel fertigt eine Bauzeichnung an, gemeinsam mit der inzwischen fröhlichen Frau möbeln sie die Hütte zu einem feschen Palast auf. Super.

So stellen sich Sozialpädagogen kindgerechte Märchen vor. Das sind sie aber nicht. Bitte wenigstens mal Bruno Bettelheim lesen. Bitte.  Nur ein bisschen. Vielleicht gibt es inzwischen Kinderpsychologie für Dummies? Noch besser: lasst einfach die Finger von jeder Literatur. Danke.

Ich habe dann den idiotischen Text ignoriert und meiner Kleinen aus dem Gedächtnis das richtige Märchen erzählt, so wie es mir mein eigener Opa und meine Mutter erzählt haben. Und als ich mit verstellter krächzender Stimme "Knusper knusper Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?" sagte, schmiegte sich meine Enkelin an mich und hatte ein bisschen Angst, aber am Ende, ganz am Ende, wenn durch Mut und Klugheit das Böse überwunden ist, wird ja alles gut. Alles wird wieder gut.

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