Saturday 20 August 2016

Henryk M. Broder zum 70sten

Auch von mir herzliche Glückwünsche. Kennen wir uns? Eigentlich nicht. Also praktisch kenne ich dich nicht, und du kennst mich praktisch auch nicht. Wie man so sagt. War da was? Ein bisschen was. Ein Telefonat, ein einziges. Da ging's um Ephraim Kishon. Hast du längst vergessen, kein Problem. Zwei meiner Texte auf deiner "Achse", ist auch schon länger her. Bestimmt auch vergessen, kein Problem. Ach ja, wir haben mal kurze Zeit für Abi Melzer (Semitimes) geschrieben. Und haben beide lange, sehr lange aufs Honorar gewartet. Daran konntest du dich gut erinnern, als wir das letzte Mal, schon länger her, Mails tauschten.

Was mag ich an dir? Du haust auf die Kacke, dass es klatscht und spritzt. Und immer ganz knapp oberhalb der Gürtellinie. Aber so knapp, dass dich die Getroffenen ignorieren, ausladen oder sogar mit Prozessen überziehen. Mag ich, aber. Ja, mein Lieber, so ganz ohne aber kommst du mir nicht davon. Das ist hier kein Nekrolog, also de mortuis nil nisi bonum und sowas läuft noch nicht. Du lebst und wirst hoffentlich 120!

Du warst mal "links", na ja, eher ein Pop-Linker, und sogar Mitglied der Grünen. Da lagen die Haufen immer schön geordnet rechts davon. Da hast du dann reingehauen, dass es klatscht und spritzt. Irgendwann ist dir klargeworden, dass es auch im "linken Spektrum" gewaltig stinkt. Du bist dann aus der Partei ausgetreten. Richtig so, aber. Ja, da ist es wieder, dieses aber. Deine politische Heimat ist dann so eine General-Opposition gegen alles Linke und Grüne geworden, die nicht frei von Automatismen ist, soll heißen, wenn immer die Grünen oder vermeintlich Linken für etwas sind, bist du automatisch dagegen. Also Minus wird immer mit Plus und umgekehrt beantwortet. Automatismus eben. Oft drängt sich mir der Eindruck auf, dass der Inhalt nebenrangig ist, ja keine Rolle zu spielen scheint. Ich räume ein, dass ich mich da natürlich irren kann.

Hat nicht schon dein (ehemaliger) Freund, der auch von mir hoch geschätzte Eike Geisel, auf diese deine Charakterschwäche aufmerksam gemacht? Der leider verstorbene Geisel kann dazu nichts mehr sagen, aber mal ehrlich, er war besser als du und vor allem mutiger, mhm? Ich meine, das solltest du mit oder ohne Neid anerkennen, dass er der brillantere Polemiker war und vor allem im Gegensatz zu dir nie Angst hatte. Und wenn ich eure wichtigsten Bücher in Konkordanz lese, sehe ich, dass du stilistisch viel von ihm gelernt hast. Aber eines hat du leider nicht von ihm gelernt: das unbestechliche und mutige Schreiben gegen alles, was stinkt. Du bleibst immer im leicht stürmischen, aber nie gefährlichen Fahrwasser. Du kämpfst, aber immer risikominimiert, immer mit Sicherheits-Netz und ziehst auch mal den Schwanz ein, wenn's ans Eingemachte geht und hältst schleimige Reden.
Denn auf Honorare willst du nicht verzichten, soweit geht deine Frechheit nie. Michael Klonovsky hat seinen Job beim Focus riskiert - und verloren. Geisel hat viel riskiert und so manches verloren. Du schreibst dagegen wohlfeile Polemik, immer "Die Welt"-kompatibel. Bloß kein Risiko, nicht wahr? Siehst du, das verstehe ich, denn es ist menschlich, aber jetzt bist du 70. Du kannst es dir leisten, beide Augen weit zu öffnen und gegen alles anzuschreiben, was stinkt.
In diesem Sinne
Jens  

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