Friday 12 August 2016

Nun sag, wie hast du's mit der Religion?

Die Gretchenfrage ist aktueller denn je. Kaum erfüllt ein koran-inspirierter Selbstplatzer seine Aufgabe, geht's ans Eingemachte. Die Foren rauf und runter melden sich immer wieder dieselben Relativierer und fordern, einfach alle Religionen abzuschaffen, denn ohne Religion gäbe es schließlich keine religions-motivierten Morde. Oft wird dann Marx falsch zitiert und behauptet, Religion sei Opium für das Volk. Das hat Marx nie gesagt. Vielmehr sagte er, Religion sei Opium des Volkes, und das ist ein gewaltiger Unterschied. Ach ja, und dann schlägt immer irgendein Ossi auf und schwadroniert von Humanismus und Aufklärung. In der DDR wurde Humanität immer mit Humanismus verwechselt. Mit dem Klassenfeind Humboldt hatten sie's nicht so, und statt Latein und Griechisch wurde Russisch und Partei-Doktrin gebüffelt.

Religionen verbieten. Schau'n wir mal. Welche? Also der feste Glaube an die Partei und die Segnungen des Sozialismus wurden nie verboten, sondern eingefordert, und während man schon mit 14 Jahren straffrei und ohne Nachteile (vom Verlust des Seelenheils mal abgesehen) aus der katholischen oder evangelischen Kirche austreten kann, wäre es sehr nachteilig gewesen, dem Staatsratsvorsitzenden sein SED-Parteibuch auf den Tisch zu knallen. So viel Religion musste sein.

Aber heute sind wir schließlich alle aufgeklärt. Soso, sind wir das? Wir wollen an dieser Stelle nicht Adornos/Horkheimers Dialektik der Aufklärung durchkauen oder auf Nietzsches Der tolle Mensch aus der Fröhliche(n) Wissenschaft verweisen. Alle drei Autoren haben auf ihre Weise sehr eindrucksvoll gezeigt, dass eine Aufklärung im Sinne der Emanzipation von allen Ideologien größtenteils misslungen ist. Ob volle Individuation oder Nietzsches Herrenmoral: gemeint ist sehr Ähnliches. Ich persönlich neige zu einem intellektuellen Atheismus, soll sehr vereinfacht heißen, es ist uns aufgetragen, ohne Gott zu leben, ihn in Ruhe zu lassen (sagen wir so: loben ist erlaubt, betteln verboten). Für mich sind das Gebot des Ruhetages (Gott ruhte im Sinne einer Pensionierung) und das Gebot, den Namen nicht zu missbrauchen, Hinweise, dass in der zu Ende gedachten Tora ein Leben ohne Gott eben von Gott gefordert wird. Etwas abgründig dialektisch habe ich das mal in einem Aphorismus, gewidmet einem meiner Lehrer, formuliert: Gott liebt die Atheisten, weil sie nicht in seinem Namen Böses tun.

Viele wenig helle Foristen meinen auch forsch, Gott existiere nicht. Nun ist diese Behauptung ebenso wenig beweisbar wie ihr Gegenteil. Descartes war der Letzte, der sich erfolglos an einem ontologischen Gottesbeweis versuchte. Spätestens seit Kant wissen wir, dass so ein Beweis nicht erbracht werden kann. Nichtsdestotrotz ist es ein großes Vergnügen, etwa Gödels Gedanken zu folgen, der beweisen konnte, dass, wenn Gott existiert, er ein gütiger Gott sein muss. Aber wenn es um die Frage nach der Existenz geht, müssen wir stark sein, so stark wie Sokrates, der mit seinem Nicht-Wissen klarkam. Die allerwenigsten können das, und das ist die Malaise:    

Die Kirchen werden nämlich nur gewechselt. Raus aus der katholischen, rinn in die unzähligen anderen Kirchen, vom Pop-Idol, indischen Heilsbringern, chinesischen Gesundbetern, heimischen Mutter-Erde-Kräuterhexen, Baumstreichlern, Richtig-Essern und und und. Alles ganz aufgeklärte Menschen, die sogar längst über dem wackeligen Glauben stehen und wissen. Aber ganz genau. Während Augustinus noch sein vergrübeltes "credo quia absurdum" gestand, Pascal erst am Ende seines Lebens "den Sprung in den Glauben" meinte vollziehen zu müssen, wissen unsere strammen Aufgeklärten genau, wo der spiritiuelle Hammer hängt. Und wer die angesagtesten Religionen anzweifelt (Kierkegaards "de omnibus dubitandum est" ist sowas von uncool heute), wird gemobbt, geshitstormed, denunziert und aus dem Job geworfen oder noch schlimmer: von Facebookies "entfreundet". Das möchte der aufgeklärte, voll individuierte "Humanist" natürlich nicht und betet daher fleißig und fromm die gerade hippe Liturgie.

Zurück zur Gretchenfrage. Religionen lassen sich nicht "abschaffen", nur austauschen. Uns interessiert, welche Religionen die größtmögliche Freiheit des Denkens und Handelns (im Rahmen des Gesetzes natürlich) ermöglichen. Welche Religionen lassen mich und meine Familie in Ruhe? Welche Religionen lassen es zu, meine Gedanken frei zu formulieren und, wenn ich das möchte, öffentlich vorzutragen ohne dafür sozial oder sogar physisch bestraft zu werden? Kurz: welche Religionen sind vereinbar mit dem, was wir unter offener, liberaler Gesellschaft verstehen? Nur diese Fragen interessieren mich. Ansonsten halte ich's da mit Friedrich II: Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden.  


Und das kann heutzutage einer jungen Biochemikerin passieren, die einen homöopathie-kritischen Artikel auf einem "falschen" Blog schreibt (siehe vorletzten Beitrag). Soviel zu gefährlichen Religionen, die ganz und gar nicht vereinbar sind mit einer offenen, liberalen Gesellschaft..

http://www.achgut.com/artikel/ich_habe_einen_fehler_gemacht_ich_habe_auf_der_achse_veroeffentlicht

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