Monday 25 January 2016

Vorsicht vor Cyber-Analphabetismus

In meiner Schüler- und Studentenzeit gab es einen beliebten Spruch: Leute, fresst Scheiße, denn 700 Milliarden Fliegen können sich nicht irren. Man schmunzelte damals. Heute ist die Ironie verschwunden, das indifferente „Scheiße fressen“ ist selbstverständlich geworden und wird hochtrabend „Schwarmintelligenz“ genannt. Die Qualität von Internetbeiträgen oder beworbenen Produkten wird durch Klicks derjenigen generiert, die gar nicht in der Lage sind, die Qualität zu prüfen. 

Bildung hatte immer etwas mit Auswahl zu tun.  Selbst  die  Universalgelehrten von einst kannten sich nicht auf jedem Gebiet aus, und auch in den größten traditionellen Bibliotheken konnte man nicht alles finden. Geschulte Bibliothekare vermochten es noch, mindere von hoher Qualität zu unterscheiden und den Bestand entsprechend zu begrenzen. 

Das bedeutete keineswegs, dass für jedes Gebiet ausschließlich Fachliteratur von hohem akademischen Niveau zur Verfügung stand. Es gab auch immer populärwissenschaftliche Bücher, die dem interessierten Laien einen leichteren Einstieg in die Materie ermöglichten. Zum Beispiel hat Albert Einstein selbst eine populärwissenschaftliche Einführung in seine Relativitätstheorie geschrieben.

Der Besucher einer traditionellen Bibliothek konnte vor allem darauf vertrauen, dass er nicht ohne Vorwarnung in eine esoterische Wirrkopfecke gelenkt wird, was im Internet leicht passiert. Wer sich für Naturwissenschaften oder Medizin interessierte, fand in den entsprechenden Abteilungen seriöse Bücher, ob wissenschaftlich oder populärwissenschaftlich. Da er selbst ja nicht vom Fach ist, musste er einfach darauf vertrauen können, dass man ihm keinen Schwachsinn unterjubelt. 

Das alles ist heute viel schwieriger geworden, denn „das Alternative“ beansprucht eine Qualität sui generis. Im Internet finden wir abstruse „Theorien“ und vor allem medizinische Ratschläge, die vom interessierten Laien eben nicht als Unsinn erkannt werden können. Wir finden „Beweise“ und „Belege“ für den größten Unsinn gleichberechtigt neben fundiertem Wissen. Und das ist das Problem: es gibt für den noch unwissenden Interessierten keinerlei Orientierung mehr, keine Hand, die ihn führt. Was zunächst sehr liberal klingt, denn jeder soll sich doch die Informationen beschaffen, die er haben will (woher weiß er, was er will?), erweist sich als fataler Weg zum „Cyber-Analphabetismus“: vollgestopft mit Informationen, die kein verlässliches Wissen, keine belastbaren Kenntnisse, somit keine Bildung mehr generieren. Frank Schirrmacher hatte insofern Recht, als zumindest die Gefahr besteht, dass das Internet die Nutzer verdummt. Die Crux: um Sinn von Unsinn im Internet unterscheiden zu können, braucht der Nutzer eben genau die Kenntnisse, die er sich im Internet erst aneignen will. 


Weil es keine Orientierung, keine sinnvolle Auswahl mehr gibt, bleibt dem Interessierten nur das sehr aufmerksame Studium mehrerer Internet-Quellen. Das Web-Design sagt gar nichts. Da sehen die Seiten der Spinner genauso „professionell“ aus wie diejenigen der ernstzunehmenden Fachleute. Auch die Rangordnung der Beiträge etwa bei Google verrät nichts über die Qualität der Beiträge. Wenn Unsinn oft genug angeklickt und „geliked“ wird, steht der größte Blödsinn zum gesuchten Thema nicht selten ganz oben. Kurz: der Bildungshungrige sollte im Internet nicht mehr, sondern besser essen. Sonst kann es sehr leicht passieren, dass der lernbegierige Nutzer plötzlich etwas „weiß“, das jede Frau und jeden Mann vom Fach blitzartig ergrauen lässt.    



Die Antwort kennt nur der Wendt…

http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/polizei-zur-fluechtlingskrise-viele-die-wir-abweisen-kommen-ein-paar-stunden-spaeter-ins-land-14032870.html 

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