Saturday 15 October 2016

Zeit für den Untertan

Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" wird von zwei Seiten missverstanden und vereinnahmt: die einen, die "Rechten", vereinnahmen ihn als Warnruf vor dem Islam, die anderen verkennen ihn als islamfeindliche Schmähschrift. Beides ist falsch. Houellebecq beschreibt illusionslos und fatalistisch etwas, das geschehen wird. Er bewertet diesen Prozess nicht. Und sein Alter Ego und Ich-Erzähler François gewinnt sogar durch die Unterwerfung. Endlich mehrere Frauen, endlich wieder seine Professur. Kurz: Männer dürfen sich eigentlich freuen, sie sind die Gewinner. Und sie müssen sich nicht mehr mit zickigen Quotenfrauen, Gender-Quatsch und dem ganzen modischen, von verklappsten Übergutmenschen angezettelten Blödsinn rumärgern. Schön für sie. Verliererinnen sind natürlich die Frauen, aber die haben ihre Unterwerfung ja fleißig befördert. Also kein Grund, sich zu beschweren. 

Höchste Zeit, Heinrich Manns "Der Untertan" wieder und vor allem neu zu lesen. Nicht nur die Vorsilbe des Titels verweist auf eine subtile Verwandtschaft der beiden Romane.  Rezipiert wird das Werk heute gerne als "Zeitdiagnose". Das ist bequem. So können wir Autor und Roman würdigen und sie gleichzeitig weit von uns schieben. Schrecklich, diese deutschen Obrigkeitshörigen. Damals. Natürlich damals. Kaiserreich. Und man konnte ja sehen, wohin das führt. 
Zum Glück ist das alles überwunden. Ist es? Oder lebt der Untertan Diederich Heßling in immer neuen Verkleidungen und mit einem dem Zeitgeist angepassten Mundwerk weiter und immer weiter im deutschen Land, im deutschen Gemüt? 
Unterwerfung, gerne, aber die Idee muss gewaltig sein. Darauf kommt es an. Nach Gott, Kaiser und Vaterland unterwarf man sich dem gewaltigen Nationalsozialismus, dann dem weltgewaltigen Sozialismus im Osten, den weltgewaltigen Siegermächten im Westen. Und man kuschte immer gerne. Auch die Ostdeutschen hätten die nächsten 1000 Jahre gerne vor der SED gekuscht, wenn die Partei Konsum und Reisefreiheit gewährt hätte. Ein paar hätten vielleicht "rübergemacht", der Rest wäre tütenbepackt und braungebrannt zum Kuschen zurückgekommen. Das hat die SED nicht kapiert, und nur deshalb ist sie gescheitert. Um Freiheit und damit natürlich auch Selbstverantwortung ging es auch diesen Deutschen nicht. 
Irgendwann glaubten die Alliierten den "Jawoll, jawoll, bin Demokrat, jawoll-Lippenbekenntnissen" der Untertanen und ließen sie alleine machen. Aber was machen? Ein Jammer: sich der Demokratie unterwerfen? Demokratie ist öde. Sie ist keine so richtig ganz große Idee, an die man inbrünstig glauben kann, und auf den inbrünstigen Glauben kommt es den Deutschen an. Viel Kleinklein, Kompromisse, aushandeln, viel reden, streiten. Nein, das ist nichts für deutsche Menschen. Sie brauchen die Weltrettung, auch wenn dabei ein Weltenbrand riskiert wird. Egal, unter Weltmeister geht's nicht. Das Große-Ideen-Vacuum musste gefüllt werden, damit sich Diederich Heßling aka "die Anne-Sophie" oder "der Claus mit c" wieder unterwerfen konnten. Ökologismus, verkleideter Antisemitismus, Antiamerikanismus, Heiligsprechung des ganz Fremden, Verachtung des Nächsten. Das ist schon was. Das füllt die Lücken aus. So machen inbrünstiger Hass und inbrünstige Selbstgerechtigkeit Spaß, weil beide ganz natürlich sind und ganz ohne Chemie. Ach ja, nicht zu vergessen "die Katrin", die sich auch schon auf ihre Unterwerfung freut. 

Michael Klonovsky schreibt heute in seinen "Acta Diurna" wieder einmal süffisant und helle:

"So um 1918 nistete sich der Typus des habituellen Nazis im deutschen Volkscharakter ein, und trotz diverser Kuren bekommt unser armes, gebrechliches Land auf seine späten Tage diese Filzlaus nicht mehr los, weil sie sich ständig an neuen Stellen exponiert. Immer wollen unsere Habitatsnazis denunzieren, verfolgen, dingfest machen, löschen, flurbegradigen, umbenennen, Ordnung schaffen, Maßnahmen einleiten, den Konsens vollstrecken, endgültige Lösungen anstreben. Und dieser Typus wird in den Stürmen der nächsten Völkerwanderung nur zum Teil vergehen, der andere Teil wird konvertieren und im Namen des Propheten so gründlich, so systematisch missionieren und verfolgen, dass selbst radikale Muslime lauter kleine Kaabaklötzer staunen werden, mit welchen Strebern sie sich da eingelassen haben."
http://michael-klonovsky.de/acta-diurna

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