Thursday 13 October 2016

Du siehst was, was ich nicht sehe

Keine Angst, ich werde jetzt nicht schon wieder das "Burka-Verbot" in epischer Breite diskutieren, das überlasse ich anderen. Ich persönlich ignoriere Vollverschleierte, die eine sehr großzügige Gesellschaft ablehnen, die sie oft nährt, kleidet und ihnen Wohnraum spendiert. Ich wünsche auch kein Gespräch mit den Vermummten, und ich verbitte mir, dass mir so eine Person die Hand gibt. So viel Selbstachtung muss sein.

Nein, mir geht es um einen Aspekt der (auch muslimischen) Vermummung, der bis heute kaum zur Sprache kommt. Ich nenne diesen Aspekt hier "kommunikative Fairness".

Nicht wenige fühlen sich schon unbehaglich, wenn das Gegenüber eine verspiegelte Brille trägt. Es stört sie. Denn wir kommunizieren beileibe nicht nur mit Worten. Die Gesamtheit aller Zeichen und Signale (die Sprache ist nur ein kleiner und zudem recht unzuverlässiger Teil), die der andere vermittelt, wird von uns wahrgenommen und ausgewertet. Wörter alleine reichen uns nicht. Aus gutem Grund: der andere kann die Wahrheit sprechen oder lügen, er meint es vielleicht anders, vielleicht meint er das Gesagte ironisch oder sarkastisch. Um uns ein Bild zu machen (Worte, Gesten, Mimik), sehen wir den Sprechenden an.

Manchmal beobachten wir eine Abweichung zwischen dem Gesagten und der Mimik/Gestik. "Lügt er?", denken wir, denn er errötet leicht und bewegt den Kopf leicht zur Seite und nach unten (Verlegenheitsgeste). Wir wissen, dass sich die Sprache recht gut kontrollieren lässt (Lügen ist nicht besonders schwer). Dagegen ist es schwer bis unmöglich, die gesamte Körpersprache immer und perfekt zu kontrollieren. Dazu muss man nicht nur die Muster der Körpersprache gut kennen, diese ständige Selbstkontrolle erfordert Training und höchste Selbstdisziplin. Und selbst einem Meister-Lügner können Fehler unterlaufen, weil er sein Unbewusstes, das Mimik und Gesten beeinflusst, natürlich nicht vollständig kontrollieren kann.

Aber kommen wir zurück ins Alltagsleben. Es scheint eine anthropologische Konstante zu sein, dass wir uns eine "kommunikative Gleichberechtigung" wünschen. Wenn mir jemand in die Augen sehen kann, meinen Gesichtsausdruck wahrnehmen und auswerten darf, dann möchte ich das auch dürfen. Beim Telefonat oder Emails/Briefeschreiben u.a. sehen beide den anderen Teilnehmer nicht. Beide sind somit gleichberechtigt.

Bei polizeilichen Vernehmungen wird Druck aufgebaut, indem hinter einer verspiegelten Wand ebenfalls Polizisten sitzen und die Vernehmung (vor allem den Verdächtigen) beobachten. Der Verdächtige weiß das, er weiß, dass er beobachtet wird und selbst nichts sehen kann. Wie gesagt, das soll einen gewissen Druck aufbauen. Eine polizeiliche Vernehmung ist jedoch keine Alltagssituation.

Genauso wenig ist es in unserer Kommunikations-Kultur üblich, dass der eine Gesprächspartner alles, der andere nichts sehen kann. Aber das geschieht, wenn wir mit einer/m Vollvermummten in Kontakt treten. Sie/er sieht, ob wir fröhlich, traurig, heiter oder bedrückt sind, denn das "steht uns im Gesicht geschrieben", wie der Volksmund hier treffend sagt. Zusammen mit dem Gesagten erfassen wir Sinn und Bedeutung der Aussage. Beispiel: "Ich gehe jetzt. Leb wohl." Wenn das jemand mit todtraurigem Gesicht sagt, machen wir uns vielleicht Sorgen, sagt er es mit einem entspannt heiteren Gesicht, will er sich wohl nur verabschieden. Das alles können wir beim Vollvermummten nicht erkennen, und weil der Mund auch verdeckt ist, können nicht einmal die Worte deutlich gehört werden. Umgekehrt ist unser Gesicht für den anderen ein "offenes Buch."

Aus diesem Grund lehne ich jede Form von Vollvermummung in der Öffentlichkeit ab.

No comments:

Post a Comment

Ein Lügner glaubt keinem An dieses sehr tiefsinnige Sprichwort muss ich immer denken, wenn ich die Propaganda (in der Vor-Merkelzeit gab e...