Thursday 27 October 2016

Der Dunning-Kruger-Effekt und seine Folgen

Was dieser Effekt beschreibt, können Sie in jedem (Online-)Lexikon Ihrer Wahl nachschlagen. Mir geht es hier auch nicht um den Effekt selbst, sondern um seine fatalen Folgen in hochkomplexen Zusammenhängen:

Es waren tatsächlich Inkompetente, bzw. Menschen, die ihre Inkompetenz nicht bemerkten, die praktisch jeden Fortschritt anstießen. Ohne diese sich selbst überschätzenden, inkompetenten Menschen würden wir heute noch in Höhlen leben. Noch wahrscheinlicher ist, dass es uns gar nicht gäbe. 

Stellen wir uns die Situation früher Menschen vor. Sie waren viel zu schwach und zu langsam, um auch nur die geringste Chance gegen die körperlich weit überlegenen Tiere zu haben. 
Wir stellen uns einfach eine kleine Menschenhorde vor, die sich anschickt, Tiere zu jagen und zu erlegen. Nur durch Laufen und ohne Waffen eine Unmöglichkeit. Nun gibt es da einen, nennen wir ihn "Ula". Ula ist mutig, ja übermütig. Er nimmt einen Stock in die Hand, rennt brüllend auf ein wildes Tier zu - und wird zertrampelt und gefressen. So geht's also nicht. 

Einige Beobachter der Szene kommen zu dem Schluss: Jagd geht überhaupt nicht. Wir haben keine Chance. Andere Beobachter stellen fest, dass es so nicht geht, versuchen aber, die Fehler des Übermütigen zu finden. Brüllen ist ganz schlecht, das Tier bemerkt uns sofort, also Mund halten. Ein anderer Beobachter hat bemerkt, dass das Tier die Nase in den Wind hielt und den Angreifer früh witterte. Also immer gegen den Wind und leise anschleichen. Der kleine Stock des Jägers ist auch völlig unbrauchbar.  

Wahrscheinlich sind recht viele "Ulas" zertrampelt und gefressen worden, bis irgendwann eine erfolgreiche Waffen- und Jagdtechnik entwickelt wurde. Entscheidend ist aber, dass der Übermütige, der sich selbst Überschätzende den Anfang gemacht hat, er hat den Mutigen, aber Besonneneren die Möglichkeit zu lernen eröffnet. Verfolgen wir die Geschichte des (technischen) Fortschritts, tauchen immer wieder diese Tollkühnen auf mit ihren gescheiterten Versuchen. Und oft haben sie den Nachfolgern eben durch ihr Scheitern gezeigt, wo die Fehler sind. Es bietet sich die These an, dass diese Form der Selbstüberschätzung evolutionär in uns angelegt ist. Auch heute sind es "tollkühne Ausweichmanöver", "gewagte Sprünge" usw., die ein Unheil abwenden (sollen). Jedes Zögern oder gar Selbstzweifel wären dann falsch. In solchen Augenblicken müssen wir geradezu unbedacht handeln. 

Was haben diese hier aufgeführten Beispiele gemeinsam? Sie sind alle niederkomplex. Das soll heißen, an den jeweiligen Situationen sind nur sehr wenige Komponenten beteiligt (Tiere, Jäger, Umgebung, Waffen). Sobald wir das Terrain des Niederkomplexen verlassen, funktioniert das alles nicht mehr. Ein gutes Beispiel ist die hochkomplexe (Wirtschafts-)Politik, die durch die weltweite Vernetzung ("Globalisierung") noch viel komplexer geworden ist als sie noch vor 100 Jahren war. An jeder Handlung, an jeder Entscheidung sind sehr viele Komponenten beteiligt, so viele, dass tatsächlich nur recht wenige Hochkompetente den vollen Überblick haben und die Konsequenzen von Entscheidungen bis in alle Verästelungen durchrechnen können.

Bevor FdJ-Sekretärinnen und DDR-Pfaffen und -Pfäffinnen das Ruder in Deutschland übernahmen, gab es ein gewisses Urvertrauen in die seit 1949 ganz gut funktionierende parlamentarische Demokratie. Das soll nicht heißen, man war mit allem einverstanden, aber eines war immer gesichert: von Adenauer bis Kohl hat kein einziger Kanzler jemals gegen sein Staatsvolk regiert. Mit Merkel kamen nicht nur katastrophale Fehlentscheidungen. Merkel hat wie eine Monarchin über das Parlament hinweg entschieden und hat - und das ist das Schlimmste! - das Vertrauen des Staatsvolkes in die parlamentarische Demokratie zerstört. Die Folge ist, dass keine parlamentarische Entscheidung mehr akzeptiert wird, alles was "die da oben" machen, ist nur noch falsch bzw. "undemokratisch". Gefordert wird immer lauter "direkte Demokratie", und möglichst will "das Volk" (das schon große Probleme mit der deutschen Rechtschreibung hat...) über alles abstimmen, auch über Handelsverträge, die es kaum lesen, geschweige denn verstehen kann (TTIP, Ceta z.B.). 
Weil sich "das Volk" - zurück zum Dunning-Kruger-Effekt - inzwischen kompetenter wähnt als jeder Politiker, glaubt es auch, alles viel besser entscheiden zu können. Weil aber kaum jemand etwa das Vertragswerk zu Ceta kennt, wird das Hochkomplexe hinunter gebrochen zu etwas Niederkomplexem, und das heißt hier, zu etwas Falschem. Dieser Trend ist nicht nur auf Deutschland beschränkt. Besonders das Internet suggeriert jedem Klein-Doofie, er sei jetzt "gut informiert" und könne alles selbst entscheiden, er müsse sogar, weil "die da oben" ohnehin alle lügen. 

Es waren die EU-Granden mit Merkel an der Spitze, die das so wichtige Vertrauen der Menschen verspielt und damit die parlamentarische Demokratie an den Abgrund geführt haben. Wie soll's weitergehen? Sollen tatsächlich Menschen, "die mir und mich verwechseln" darüber entscheiden, mit welchem Land ein anderes Freihandel treiben, mit welchem es Verträge aushandeln darf? Wenn die parlamentarische Demokratie überleben will, müssen Politiker sich wieder liebend ihrem Staatsvolk zuwenden und nein, sie müssen ganz und gar nicht dem "Stammtisch" folgen, aber auf keinen Fall dürfen sie gegen die Interessen des Volkes regieren. Sonst werden in Kürze auch die schwierigsten Probleme ganz einfach gelöst. Gefährlich einfach.         

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