Sunday 11 September 2016

Schlechte Stärke, gute Schwäche

Gibt es das? Wir sind mit dem Gegensatzpaar stark-schwach aufgewachsen. Stärke ist in aller Regel immer gut, Schwäche schlecht. Wir wünschen unseren Kindern, dass sie groß und stark werden, nicht klein und schwach bleiben. Ein starker Charakter ist allemal besser als ein schwacher, und wir freuen uns, wenn sich ein Kranker wieder stärker fühlt. Stärke und Schwäche sind bei uns emotional eindeutig besetzt.
Was geschieht, wenn dieses seit frühester Kindheit vertraute Gegensatzpaar auf Bereiche übertragen wird, in denen es nichts zu suchen hat?

Seit es den Euro gibt, diese schwache Plastikwährung, dieses künstliche, schlechte Geld, gibt es eine stattliche Anzahl von Menschen, die ihrer starken D-Mark nachweinen. Dem echten Geld. Auch wenn viele längst nicht mehr mit Bündeln von Bargeld einkaufen gehen, sondern mit einer Plastikkarte in Läden und vor allem online bezahlen, seufzen sie und denken an die gute, starke D-Mark, diese prachtvollen Scheine und Münzen. Irrational? Gewiss, aber wir werden eben auch (in diesem Fall: leider) von Gefühlen gesteuert. Und die melden, dass ein schwacher Euro schlecht ist, weil er schwach ist.

Gäbe es nur eine Währung, wäre die weder schwach noch stark. Wenn wir von Euro-Schwäche lesen, wird i.d.R. das Verhältnis zum Dollar beschrieben. Wenn der Euro, so wie noch 2008, sehr hoch gegenüber dem Dollar bewertet wird, ist er stark, also gut. Gut? Für wen? Wohl nur für den, der das Gegensatzpaar stark-schwach ungeprüft in diesen Bereich überträgt. Denn für ein exportorientiertes Land wie Deutschland, für das die USA ein wichtiger Absatzmarkt ist, stellt eine hoch bewertete Landeswährung nur ein Hindernis dar. Im Jahre 2008 musste ein Amerikaner rund $1.60 für einen Euro bezahlen. Viele Amerikaner, die sich ganz gerne ein deutsches Produkt gekauft hätten, wurden von dem hohen Preis abgeschreckt. Das alles konnte die Menschen, die in einer Währung allen Ernstes ein nationales Symbol sehen, etwas, worauf man stolz sein kann, nicht beeindrucken. Denn, wir sagten es schon, stark ist immer gut. Zugegeben, wir geraten in ein Dilemma, wenn wir etwas Schwaches positiv bewerten müssen. Das beißt sich mit dem Muster, mit dem wir aufgewachsen sind. Dem analytischen Denken stellt sich das Gefühl entgegen.

Ein möglicher Ausweg aus diesem Konflikt wäre die Vermeidung der Attribute stark und schwach im Zusammenhang mit Währungen. Hier wäre eine emotionslose Beschreibung der Relation sinnvoller. Der Euro wird gegenüber der Währung X in der Höhe Y bewertet. Heute muss ein Amerikaner etwas über $1.12 für einen Euro bezahlen. Das ist für eine Exportnation wie Deutschland sicher besser, weil die USA ein wichtiger Absatzmarkt ist. Wer sich aus nationalgefühlsduseligen Gründen die DM zurück wünscht, darf sich schon einmal auf Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit einstellen, denn die "DM 2.0" würde dann gegenüber dem Euro sehr hoch bewertet werden, was den Export in die Euro-Zone dann auch erschweren dürfte. Stärke und Schwäche: lassen wir sie da, wo sie hingehören.       

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