Thursday 12 October 2017

Vorsicht: "leichte Sprache"

Immer häufiger lesen wir von der Forderung, alles in leichter Sprache zu schreiben oder zu sagen, damit jeder alles verstehen kann. Jene, die das fordern, haben zwischen Stricken und Streiken wenig mitbekommen an der Uni, in der sie sich wohl nur ab und zu aufhielten.

Folgen wir Wittgenstein, so kann alles, was überhaupt gedacht werden kann, klar gedacht werden, und alles, was überhaupt gesagt werden kann, klar gesagt werden*. Hier dürfen wir "klar" nicht verwechseln mit "leicht". Sicher wäre es komisch, ein Rührei-Rezept in der Sprache Hegels zu beschreiben, umgekehrt könnten wir Hegels Gedanken nicht mit der Sprache für ein Rührei-Rezept erfassen. Die Sprache dient dem Ausdruck des Gedankens und seinen Verknüpfungen, Syntax, Grammatik und Orthographie helfen, einen Gedanken so genau und damit klar zu formulieren wie möglich.

Wir suchen also nach dem besten Ausdruck für unseren Gedanken. Dazu benutzen wir Begriffe, also Wörter, die bestimmte Merkmale besitzen. Die Begriffe werden durchaus dynamisch verwendet. So werden wir einem 4-jährigen Kind einen Baum (Begriff) anders beschreiben als einem Botaniker. Zur Beschreibung des Baumes benötigen wir natürlich noch andere Begriffe (Ast, Zweig, Blatt usw.).

Aber schon wenn das etwas ältere Kind mehr über den Baum wissen möchte, können wir ihn nicht mit der Erklärung von einst abspeisen. Wir müssen den Begriff erweitern. Die kindliche Frage etwa, woraus Holz besteht, ist nicht so "leicht" zu beantworten, es sei denn, wir betrügen das Kind und erzählen ihm "in leichter Sprache", dass Holz wichtig fürs Klima ist und deshalb in Südamerika nicht abgeholzt werden darf...

Durch diese dümmliche Pseudo-Definition weiß das aufmerksame Kind zwar weiterhin nichts über "Holz", wird aber schon gut darauf vorbereitet, in ein paar Jahren jeden Baum zu umarmen und Kerzen anzuzünden, wenn er mal abgeholzt wird.

Wenn wir mehr über die Dinge, die uns umgeben, wissen wollen, geht nichts ohne Naturwissenschaften. Woraus werden Häuser gebaut? Was ist Heizöl? Wie funktioniert dieses und jenes? Je mehr wir darüber wissen wollen, desto mehr Kenntnisse benötigen wir in Physik, Chemie, Biologie und Mathematik. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

Wenn ein aufgewecktes Kind anfängt, seine Eltern mit diesen Fragen zu löchern, sind zwei Wege offen. Der richtige und der ideologische. Der ideologische missbraucht die Sprache und erklärt "in leichter Sprache" nicht den Begriff, sondern den (ideologisch bestimmten) Gebrauch der Dinge:
"Zement ist, damit alle Menschen wohnen können, Autos fahren mit einer Batterie, Kernkraft tötet viele Menschen."

In der Tat, diese "leichte Sprache" versteht jeder und genau so, wie er sie verstehen soll. Wirklich verstanden wurde allerdings überhaupt nichts. Und genau darum geht es den "Leicht-Sprachlern": die Sprache und somit das Wissen so einzuengen, dass es politisch brauchbar wird. Sie zerstören brutal über 2500 Jahre Geistesgeschichte, eine großartige Geschichte, die irgendwann wunderbar kindlich mit dem Staunen begann: warum ist etwas so und nicht ganz anders?

*Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico-Philosophicus


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