Monday 10 April 2017

Ein Buch, ein Aufschrei

Mindestens einer. Der amerikanische Politologe Jason Brennan hat der "modernen Demokratie" (eher: Ochlokratie) eine harsche Abfuhr erteilt. "Gegen Demokratie" ist der Titel seines Buches, und für deutsche Leser wurde noch schnell die Unterzeile "Warum wir die Politik nicht den Unvernünftigen überlassen dürfen" angefügt.

Zumindest ich schreie nicht auf, denn was Brennan fordert bzw. sich wünscht, entspricht im Großen und Ganzen dem Demokratiebegriff der griechischen Polis, wo in der Tat keineswegs Krethi und Plethi wählen durften. Nein, nur Bürger der Polis, Gebildete und Informierte (wie wir heute sagen) durften über die Geschicke des Staates und seiner Bewohner abstimmen. Frauen durften gar nicht wählen, aber nun, das demokratische Musterländle Schweiz hat das Frauenwahlrecht auch erst vor wenigen Jahrzehnten eingeführt.

Natürlich kann man sofort einwenden, dass es dann eine Instanz geben müsste, die festlegt, wer genau genügend informiert und gebildet ist, um die Wahlkabine betreten zu dürfen. Und da liegt der Hase im Pfeffer, denn wer diese "Definitionshoheit" besitzt, kann beliebig steuern, wohin die Landesreise gehen soll, d.h. die Chose droht, tatsächlich anti-demokratisch, ja diktatorisch zu werden. Diesen inneren Widerspruch hat Brennan nicht bemerkt oder zumindest nicht thematisiert.

Trotzdem: wenden wir uns kurz dem Begriff "Wahl" zu, am besten durch ein ganz alltägliches Beispiel. Schuhkauf. Der Schuhverkäufer preist das Paar Schuhe in höchsten Tönen an - und wir wissen  nichts weiter über die Schuhe. Größe? Farbe? Material? Strapazierfähigkeit? Wir wissen es nicht, kaufen aber buchstäblich blind die Schuhe, denn der Verkäufer hat ja gesagt...

Wenn ich auf diese Weise Schuhe kaufte, würde man mich mit Recht für einen Idioten halten. Aber wie sieht's denn aus mit den Wahlberechtigten, die zudem immer jünger werden sollen? Kennen die wenigstens in groben Zügen das Programm der Partei, die sie wählen? Wenn nicht, kann man überhaupt von Wahl sprechen (wir denken an die Schuhe)? Ist diese "Wahl" mehr als ein Würfel- oder Lotteriespiel? Und es geht hier nicht um einen "3er", es geht um das ganze Land und seine Bewohner. Müssen wir nicht, wie beim Schuhkauf, wenigstens ein gewisses Maß an (politischer) Bildung und Informiertheit verlangen, damit eine Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahl nicht zum bewusstlosen Blindflug wird?

Ja, Brennans Buch ist aufreizend, aber auch aufrüttelnd, denn es macht uns die große Verantwortung bewusst, die der Wähler trägt. Er, so sieht es das Grundgesetz vor, ist der Souverän, er bestimmt, die gewählten Vertreter der Parteien haben ihm zu folgen.

Nun soll das Wahlalter noch einmal auf 16 Jahre herabgesetzt werden. Seinerzeit wurde es von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt mit der Begründung, dass 18-Jährige schließlich Dienst an der Waffe leisten müssten, also sollten sie auch wählen dürfen. Nun gut, aber warum fallen dann 16-18-Jährige unter das Jugendstrafrecht, wenn sie straffällig werden? Weil sie die ganze Tragweite ihres Handelns (angeblich) noch nicht überschauen können. Aha, aber die ganze Tragweite ihrer Wahl können sie plötzlich überschauen? Wir dürfen uns fragen, welche Parteien sich so vehement fürs Jugendwahlrecht stark machen.

Und wenn das uninformierte Volk unvernünftig wählt?

Es ist ja nicht so, dass die Politprofis die Problematik nicht genau kennten. Die Frage ist, ob sie dem (blöden) Souverän, der gar nicht weiß, was er da wählt, auch folgen. Genau das darf bezweifelt werden. Es werden eben Schleichwege gefunden, um den (vermeintlichen) Wünschen des Volkes elegant nicht nachzukommen und ihm das Ganze dann als "Sachzwang" zu verkaufen. Wir senken die Steuern, versprochen. Geht doch nicht, leider, leider, denn...
Derlei Hakenschlagen erleben wir nach jeder Wahl. Und das Angenehme für die Brecher der Wahlversprechen ist, dass das Wahlvolk es schluckt. Ein bisschen Murren, aber gleich kommt "Dschungelcamp".

Diese Spielchen ließen sich mit Brennans Wunschwählern nicht so leicht spielen. Denn Gebildete und Informierte haben für alle amtierenden Politiker einen entscheidenden Nachteil: sie sind gebildet und informiert. Insofern ist Brennans Buch durchaus keine simple "Publikumsbeschimpfung". Es lehrt auch die Politikerkaste das Fürchten. Dann wäre Schluss mit bauchgefühligem Geschwafel, dann müssten Fakten und Zahlen auf den Tisch. Damit können die unsäglichen Quasseltanten und -onkels aber nun wirklich nicht dienen. Und deshalb bleibt alles so wie es ist. Das ungebildete und uninformierte Wahlvolk wählt irgendwas, und die schlauen Politiker machen, was sie für richtig halten, und das ist selten richtig, weil viel zu wenige Politiker gebildet und informiert sind.          

  

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