Wednesday 3 February 2016

In Watte erstickt

Die Psychologie spricht von „Überbehütung“, wenn die selbstverständliche Aufsichtspflicht, das Aufpassen aufs Kind etwa, derart übertrieben wird, dass eine normale Entwicklung kaum möglich ist. Das Kind wird in eine erstickende Watte gepackt, wird daran gehindert, Konflikte auszutragen, sich auch mal selbst zu wehren oder eine Frustration zu bewältigen. 
Dieses Fehlverhalten der „overprotecting mothers“ oder auch „Helicopter-Mütter“, wie man sie heute gerne nennt, hat sich zu einer gesamtgesellschaftlichen Neurose entwickelt: es wird überbehütet, was das Zeug hält. 

Wie die allermeisten hysterischen Trends kommt auch die „New Political Correctness“ aus den USA. Während dort jedoch die Zeitgeister mit lautem Knall aus der Flasche entweichen, das ganze Land für einige Zeit in ein Irrenhaus verwandeln und dann wieder verschwinden, wird in Europa auch das abwegigste Gedankengut made in USA in dogmatische Gesetze gegossen und haltbar gemacht. In den USA presst derweil der nächste Zeitgeist schon den Flaschenkorken nach oben.

An amerikanischen Universitäten spielen sich haarsträubende Szenen ab, Szenen, die wir sonst nur aus totalitären Staaten kennen: Denk- und Sprechverbote beherrschen den Campus und auch die Hörsäle. Jeder Lehrende, jeder Student muss höllisch aufpassen, was er sagt, die gesamte Literatur wird nach „Triggern“ durchforstet, soll heißen, wenn auch nur die wage Möglichkeit besteht, dass in einem Roman etwa sich irgendwer eventuell beleidigt oder gedemütigt fühlen könnte, wird vor diesem Buch gewarnt, es wird empfohlen, es nicht zu lesen. Othello? Werden da nicht „Stereotype gegen Farbige“ kommuniziert? Einzig der weiße Mann(!) darf immer und überall beleidigt und gedemütigt werden. So viel Ventil muss sein. 
Sogar Barak Obama platzte inzwischen der Kragen: "Nur weil Sie Studenten eines College geworden sind, haben Sie keinen Anspruch darauf, geknuddelt, in Watte gepackt und vor anderen Meinungen beschützt zu werden!“

Intellektuelle Kapitulation und entsetzlicher Mief vergiften die ganze (vor allem akademische) Gesellschaft. Aber gerade die Absolventen dieser Denkzertrümmerungs-Anstalten werden in Kürze „Meinungsmacher“ sein, werden für Zeitungen schreiben, Bücher, Theaterstücke und Filme rezensieren, Schüler und Studenten unterrichten, werden also ihren antrainierten Kretinismus „nach unten“ weiterreichen. 

Aus der normalen bürgerlichen Höflichkeit ist ein erstickendes Gedankenkorsett geworden: wer zum Beispiel früher Schwule oder Lesben nicht mochte, hat höflich geschwiegen. Tat er es nicht, wurde er mit Recht als unhöflich gebrandmarkt. Denken durfte er allerdings, was er wollte. Und somit auch lesen, was er wollte. Das wird heute unterbunden. Wer als Student oder Lehrender mit einem „falschen Buch“ im Bus oder auf dem Campus erwischt wird, muss sich auf einen Spießrutenlauf gefasst machen. Einen Lehrer kann das den Job kosten.

Nun gibt es keine Bewegung ohne Gegenbewegung. Wir kennen das schon aus der Mikrogesellschaft Familie: zu strenge Verbote honoriert das Kind mit besonders brachialem Brechen eben dieser Verbote. Werden Süßigkeiten strikt verboten, überfrisst sich das Kind mit Schokolade wann immer es die Gelegenheit bekommt. Das bringt uns direkt zu Donald Trump. Weiß, männlich, stinkreich und ein Rüpel, der gegen alles und jeden wettert, wenn ihm danach ist. Mexikaner sind Verbrecher und Drogenhändler, Muslime will er gar nicht, und ein behinderter Journalist wird mal eben geschmacklos nachgeäfft. Wir dürfen uns fragen, ob ein solcher Mensch in einer wahrhaft liberalen Gesellschaft ohne groteske Maulkorb-Vorschriften und Denkverbote ernst genommen würde. Ob er so erfolgreich werden könnte wie er jetzt immerhin ist (auch wenn er wahrscheinlich nicht Präsident wird).

Werte politisch überkorrekte Studenten, Lehrer, Journalisten und Politiker : falls Hegel und Marx noch nicht zu den Büchern mit „Triggern“ gehören, kann eine gründliche Lektüre unbedingt empfohlen werden. Dann lernen Sie, dass zu jedem Geist auch ein Gegen-Geist aus der Flasche entweicht. Nicht selten erweist sich der Gegen-Geist als unangenehm mächtig.    


     

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